Bevölkerungswachstum und »Mietskasernen«

Der Aufstieg Berlins zur Metropole im 19. Jahrhundert war sowohl durch seine Hauptstadtfunktionen für Preußen und seit 1871 für das Deutsche Reich als auch durch seine Entwicklung zum Industrie- und Finanzzentrum Mitteleuropas bestimmt. Um 1900 hatte Berlin den Rang einer "Weltstadt" erreicht. Die Bevölkerungszahl hatte sich in einem Zeitraum von 25 Jahren verdoppelt. Zählte die Stadt 1849 noch 412.000 Einwohner, waren es 1875 bereits über 960.000 und 1900 1,89 Millionen Einwohner.

Die gesellschaftspolitischen Folgen des Ersten Weltkrieges und die Gründung der Weimarer Republik prägten die Entwicklung der heutigen Stadt Berlin nachhaltig. Für die Stadtplanung bedeutete insbesondere der Übergang zur Republik im Jahre 1918/19 eine wesentliche Veränderung der Rahmenbedingungen: das demokratische Wahlrecht in den regionalen und lokalen Parlamenten öffnete den Weg einer stärker sozial bestimmten Bau- und Planungspolitik. Hierzu zählte auch die lang hinausgeschobene Neuregelung der Verwaltungsstruktur indem 1920 acht bis dahin selbstständige verwaltete Städte, 27 Gutsbezirke und 59 Landgemeinden zu "Groß-Berlin" zusammengeschlossen wurden. Durch den Zusammenschluss zur Einheitsgemeinde Groß-Berlin, konnte das Gesamtgebiet nach einheitlichen Planungsgrundsätzen geordnet werden.

Und die Stadt wuchs abermals: Zum einen waren die 1910er und 20er Jahre eine Zeit der kulturellen Blüte. Berlins Ruf als Kunst-, Kultur- und Theatermetropole ging weit über die deutschen Grenzen hinaus und bescherte der Stadt nicht nur Ihren bis heute international klangvollen Namen, sondern prägte auch den Begriff der "Goldenen Zwanziger" und zog kunst- und kultursinnige Menschen aus ganz Europa in die erwachende Metropole. Zum anderen, wesentlicheren Teil entstand durch den seit 1918 einsetzenden massenhaften Zuzug von Kriegsheimkehrern und Vertriebenen plus die aus Großbritannien auf den Kontinent übergreifende Industrialisierung eine breite Schicht des Arbeitsproletariats. Der neue Typus des Industrie- und Schichtarbeiters fand in der erwachenden Industriemetropole zwar Arbeit, war jedoch zumeist nicht in der Lage, von seinem geringen Lohnentgelt auch eine passende Bleibe zu finanzieren.

Denn im Zuge des Wachstums war es nicht gelungen, hinreichend Wohnraum für die neuen Bewohner Berlins zu schaffen. Der Wohnungsbau lag profitorientiert in den Händen von Einzelbauherren und Terraingesellschaften und es war nicht gelungen, die Masse der Bevölkerung in angemessenen Wohnungen unterzubringen. Insgesamt wurde ein Bedarf von 350.000 neuen Wohneinheiten errechnet.

In den Hinterhöfen, in Kellern und Kleinwohnungen der so genannten "Mietskasernen" lebte die Arbeiterbevölkerung auf engstem Raum. Nicht selten teilten sich mehrere Schichtarbeiter ein und dieselbe Schlafpritsche passend zu Ihren Arbeitszeiten. Ganze Familien lebten auf wenigen Quadratmetern und unter für heutige Verhältnisse schwer vorstellbaren hygienischen Verhältnissen. So waren die vor allem in den Arbeiterbezirken wie etwa Neukölln, Wedding oder Prenzlauer Berg klassischen Berliner Hinterhofswohnungen nur unzureichend sanitär ausgestattet. Rund 20% der Wohnungen hatten keinen eigenen Wasseranschluß, 34% keine eigene Toilette und rund 72% kein eigenes Bad. Nahezu alle Wohnungen waren zudem der grassierenden Mietspekulation anheim gegeben und nur eine geringe Zahl vermögender Bürger konnte es sich leisten, in den eigenen vier Wänden zu wohnen. Die deutliche Mehrheit von rund 96% aller Bewohner Berlins lebte zur Miete, in rund 34% aller Wohnungen gab es weitere Untermieter.

Hinzu kam, dass die auf den 1862 von James Hobrecht festgelegten Bebauungsplan der Stadtquartiere zurückgehende typische Bebauung oft dunkel, beengt und schlecht zu lüften war. In den Arbeiterbezirken herrschte der bis heute fürs Berliner Stadtbild prägende Typus der Blockrandbebauung vor, der sich durch zur Straße hin geschlossene, meist fünfgeschossige Baukörper auszeichnete, die in die Tiefe durch mehrere, oft enge und wenig besonnte Hinterhöfe erschlossen wurden. Eine schwierige Ausgangslage, die nach neuen Ansätzen in der Stadtplanungspolitik verlangte.