Eintragung als UNESCO-Welterbe

Rede von Prof. Dr. Jörg Haspel, Landeskonservator und Direktor des Landesdenkmalamts Berlin, gehalten am Dienstag, 24. Juli 2007 im Bauhaus-Archiv - Museum für Gestaltung

Berliner Siedlungen der 1920er Jahre. Kandidaten für das UNESCO Welterbe – Ausstellungseröffnung

Meine Damen und Herren,

die Bundesrepublik Deutschland hat im Januar 2006 sechs Siedlungen der Berliner Moderne, die hier in der Ausstellung zu sehen sind, als Nominierung für die Welterbeliste bei der UNESCO in Paris eingereicht. Die Geschichte bzw. Vorgeschichte dieses Antrags reicht freilich weiter zurück. Mitte der 1990er Jahre, also zu einem Zeitpunkt, als noch die Vorbereitungen für die Nominierung der Berliner Museumsinsel liefen, erbat das Welterbezentrum eine aktualisierte Vorschlagsliste, eine sogenannte "tentative list" (Tentativliste) für kommende Welterbenominierungen der Bundesrepublik Deutschland. Diese nationalen Vorschlagslisten lassen sich zwar fortschreiben, aber sie geben die zwingende Auswahl vor, aus denen die europäischen Staaten derzeit allerhöchstens einen Antrag jährlich einreichen können. Und im Sinne der Kulturhoheit der Länder erfolgt die Aufstellung der bundesdeutschen Tentativliste nicht etwa durch den Kulturstaatsminister bzw. den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), auch nicht durch das Auswärtige Amt, sondern in Abstimmung der sechszehn Bundesländer in der Ständigen Kulturministerkonferenz der Länder und ihren Organen. Ich betone dieses Prozedere, weil Welterbevorschläge in Politik und Medien bisweilen wohlfeil, Verfahrenskenntnisse und Kriterien der UNESCO aber weniger geläufig sind. Welterbepolitik erfordert langfristige und legislaturperiodenübergreifende Überzeugungs- und Handlungsstrategien, wenn sie die erforderlichen innerdeutschen Abstimmungen und sodann die Beratungen und Expertisen der verantwortlichen internationalen Gremien mit Erfolg bestehen soll.

Im Zentrum der Berliner Debatte um potenzielle Welterbekandidaten standen – auch unter dem Eindruck der Empfehlungen auswärtiger Experten – die Rolle der Stadt als eine Metropole der Moderne in Architektur und Städtebau und als führende
europäische Industriemetropole vor dem Zweiten Weltkrieg. Am Ende der Berliner Abstimmungsgespräche hatten sich zwei Themen und Objektgruppen als besonders aussichtsreiche Kandidaten herausdestilliert: Zum einen das Erbe der "Elektropolis Berlin", also Denkmale der Stromversorgung und der elektrotechnischen Industrie, sowie das Berliner Erbe der Zwischenkriegsmoderne am Beispiel des legendären Siedlungsbaus der 1920er Jahre. Wenn die Siedlungen in der Endauswahl schließlich den Vorzug erhielten, dann sicher auch wegen der Urheberschaft und Mitwirkung weltberühmt gewordener Baumeister und angesehener Landschaftsarchitekten, wegen der ungleich breiteren internationalen Rezeption der Anlagen und einer besseren Forschungs- und Dokumentationslage, aber auch dank der Langzeiterfahrung und einmaligen Kompetenz, über die Berlin (und zwar in West und Ost) auf dem Gebiet der Denkmalerhaltung und Denkmalrestaurierung von Zeugnissen der Zwischenkriegsmoderne verfügt und last not least dank der kooperativen Haltung der Eigentümer, die diese Idee begeistert aufgriffen und von Beginn an als Langzeitprojekt förderten.

Hinzu kam ein Argument, wie es sich aus der Einsicht in die Voru?berlegungen anderer Bundesländer und europäischer Unterzeichnerstaaten ergeben sollte. Wer weiß, dass die Bundesrepublik mit zwei industriellen Großanlagen – der Völklinger Hütte und der Zeche Zollverein – damals bereits im Verfahren war und die Faguswerke Alfeld von Walter Gropius für die Vorschlagsliste ins Gespräch gebracht hatte, mag zugeben, dass ein "outstanding universal value" oder eben ein Alleinstellungsmerkmal im Weltmaßstab für das Typ der Siedlungen leichter in den entscheidenden Welterbe-Gremien zu vermitteln sein dürfte und von dort auch eher erwartet werden dürfte als andere Nominierungsvorschläge. (Man muss aber kein Berliner Lokalpatriot sein, um einer halbwegs repräsentativen Welterbeliste auch die Aufnahme einer AEG-Turbinenhalle von Peter Behrens, die demnächst ihr hundertjähriges Jubiläum feiern darf, zu wünschen oder womöglich sogar die Siemensstadt oder BEWAG-Umspannwerke von Hans-Heinrich-Müller oder ein Kraftwerk Klingberg weiterhin zur Diskussion zu stellen.)

Im Jahr 1997, also vor zehn Jahren, meldete die Kultusministerkonferenz über das Auswärtige Amt eine zweistellige Liste mit Eintragungsvorschlägen nach Paris, darunter auch die sechs Berliner Siedlungen. Damals erfolgte die entscheidende Weichenstellung für den Antrag, der den Welterbegremien nunmehr zur Beratung vorliegt, und für die Ausstellung, die das Bauhaus-Archiv - Museum für Gestaltung heute präsentiert. Zwei Jahre später erst (1999) beschloss die Welterbeversammlung die Eintragung der Museumsinsel in die UNESCO-Liste, die dann im Folgejahr mit einem Festakt im Alten Museum feierlich besiegelt wurde.

Die Erfolgsaussichten des laufenden Berliner Antrags sind nicht schlecht, zumindest wenn man die Neuausrichtung der UNESCO-Welterbepolitik und ihrer Beratungsorgane zugrunde legt. Im Auftrag der Weltkulturorganisation legte der Internationale Denkmalrat ICOMOS 2004 unter dem Motto "Filling the Gaps" (Schließt die Lücken) den Entwurf eines Aktionsplans vor, um eine bessere regionale und geographische, aber auch thematische und typologische Ausgewogenheit der Welterbeliste zu erzielen oder eben einen repräsentativeren Querschnitt des gesamten Erbes der gesamten Menschheit zu gewährleisten (THE WORLD HERITAGE LIST: FILLING THE GAPS - AN ACTION PLAN FOR THE FUTURE). Als unterrepräsentiert gelten nicht zuletzt das industrielle Erbe und das Erbe des 20. Jahrhunderts. Und der Siedlungsbau oder Reformmiethausbau des 20. Jahrhunderts, wie ihn der Berliner Antrag zum Inhalt hat, ist in der Welterbeliste bisher nicht vertreten, ebenso wenig wie großstädtische Massenwohnquartiere des 19. Jahrhunderts.

Auch wenn die Vorkommnisse um die geplante – und vernünftiger Weise aufgegebene - Hochhausgruppe in der Sichtachse des Kölner Doms und der aktuell eskalierende Konflikt um die Durchbrückung des Dresdner Elbtals, aber auch Potsdamer Projekte wie die Bebauung des Glienicker Horns oder das Bahnhofscenter den Vertrauenskredit geschmälert oder gar aufgezehrt haben, den die auswärtige Kulturpolitik und die Welterbepolitik der Bundesrepublik international über die letzten Jahrzehnte aufgebaut hatten, möchte ich die jüngste Rückstellung des Antrags auf Eintragung von Schloss und Altstadt Heidelberg in Welterbeliste nicht als schlechtes Omen für die Berliner Ambitionen begreifen, sondern eher als einmalige Ausnahme, die eine gegenteilige Regel bestätigt: Waren bundesdeutsche Anträge in der über 30-jährigen Geschichte der UNESCO-Konvention doch zu guter letzt immer von Erfolgt gekrönt. Einen Beitrag, unterrepräsentierte Regionen, Epochen oder Gattungen in der Welterbeliste zu stärken oder offenkundige Lücken zu schließen, konnte in dem Heidelberger Antrag ja kaum mehr erblickt werden, zumal die Bundesrepublik selbst bereits mit dem Mittelrheintal und Elbtal sowie
zahlreichen Altstädten mit Welterbestatus sehr profilierte Beiträge auf diesem Feld geleistet hatte. Die jüngst positiv beschiedenen Anträge für die Aufnahme der Nachkriegsstadt von Le Havre (2005, Frankreich) oder der Jahrhunderthalle von Max Berg in Breslau (2006, Polen) und zuletzt des Universitätscampus in Mexiko-City (2007, Mexiko) und des Opernhauses in Sydney (2007, Australien) entsprachen offenbar eher den aktuellen Zielstellungen einer Weltkulturpolitik, die der Ausgewogenheit der Welterbeliste besondere Priorität beimisst.

Aber für eine erfolgreiche Berliner Bewerbung bzw. für den bundesdeutschen Antrag bleibt viel zu tun, auch und gerade an vertrauensbildenden Maßnahmen in die zukünftige Sicherung eines eventuellen Welterbestatus durch die Antragsteller und die verantwortlichen "stakeholders" und sonstige Betroffene. Tatsächlich wird die verlässliche Daseinsvorsorge für die Zukunft potentieller Welterbestätten ein immer wichtigeres Kriterium für das Urteil der internationalen Gremien. Und wer den Vorgang Dresden vor Augen hat, wo der Aufnahme in die Welterbeliste (2004) binnen zweier Jahre der Abstieg auf die Rote Liste gefährdeter Welterbestätten folgte (2006), wer um die Vielzahl berechtigter und sorgfältig vorbereiteter Welterbekandidaturen von über 180 Unterzeichnerstaaten weiß, wer in Rechnung stellt, dass knapp ein Viertel dieser Vertragsstaaten überhaupt noch nicht auf der Welterbeliste vertreten ist (auch nicht mit einer Weltnaturerbestätte), die Bundesrepublik aber alleine über 32 Kulturerbestätten verfügt, und wer schließlich berücksichtigt, dass pro Jahr kaum mehr als 30 bis 40 Neuaufnahmen die Gremien passieren, mag erahnen, welche Chancen halbherzig vorbereitete oder vorgetragene Anträge sich ausrechnen dürfen.

Ich freue mich deshalb sehr und danke allen Beteiligten sehr herzlich, dass wir hier heute unter der Schirmherrschaft der Deutschen UNESCO-Kommission e.V. mit der Eröffnung der Ausstellung "Berliner Siedlungen der 1920er Jahre – Kandidaten für das UNESCO-Welterbe" auch eine Art Berliner Welterbeinteressengemeinschaft ganz unterschiedlicher Partner präsentieren können. Ihnen, verehrter Dr. Herr Bernecker, und Ihrem Präsidium und Vorstand, danke ich sehr für die Schirmherrschaft der Deutschen UNESCO-Kommission e.V. über diese Eröffnungsveranstaltung und die Ausstellung.
Dass eine solche Veranstaltung überhaupt möglich wurde, dafür danke ich aber vor allem den Eigentümern der sechs nominierten Siedlungen: der GEHAG-Gruppe (Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft von 1924), der 1892 (Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 e.G.), der GSW (Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft von 1924, als kommunale Wohnungsfürsorgegesellschaft) und der BauBeCon (aus einer Eisenbahnergenossenschaft von 1929 hervorgegangen bzw. später aus gewerkschaftsnahen Neuen Heimat hervorgegangen). Sie haben nicht nur diese Ausstellung vielfältig gefördert, sondern sie haben auch die Erarbeitung des Welterbeantrags in den letzten Jahren mit großem Verständnis unterstützt und sogar mitfinanziert. Unser Antrag, sechs verschiedene Siedlungen von immerhin vier verschiedenen Wohnungsbaugesellschaften in die Welterbeliste einzutragen, stellt eine Premiere in der Geschichte der Welterbeliste dar. Die Eigentümer- und Fördergemeinschaft von BauBeCon, GSW, 1892 und GEHAG bildet gewissermaßen die private Basis für das von der Bundesrepublik eingereichte Antragspaket.

Die verständnisvolle Förderung der Ausstellung durch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, aber auch deren Zuschüsse zur Sanierung von Siedlungen der 20er Jahre, etwa das Pilotprojekt in der als Welterbe nominierten Wohnstadt Carl Legien (ehemals GEHAG, heute BauBeCon) oder der Taut-Häuser Trierer Straße, unterstreichen die große Anteilnahme und auch die Spendenbereitschaft, die Welterbethemen über Berlin hinaus erfahren. Dafür danke ich der Stiftung sehr, namentlich dem Vorstand und dem Geschäftsführer sowie der Berlin-Repräsentanz der Stiftung (Prof. Kiesow, Herr Eichhorn, Herrn Krautzberger) sehr und bitte die anwesenden Vertreter der Stiftung unseren Dank und unsere Grüße nach Bonn zu übermitteln.

Eine zweite Grundlage bilden das breite öffentliche Engagement und die Unterstützung des Antrags durch den Senat und die verantwortlichen Berliner Bezirksverwaltungen. Das gilt nicht nur für die zuständige Senatorin für Stadtentwicklung, deren Verwaltung auch diese Ausstellung finanziell förderte, sondern das gilt für den Senat in seiner Gesamtheit, für das Bau- und Denkmalpflegeressort ebenso wie für das Kulturressort oder das Wirtschaftsressort. Ihre Anwesenheit und Ihre Worte, verehrter Herr Bürgermeister und Wirtschaftssenator, unterstreichen dieses Bekenntnis des Landes Berlin zum laufenden Welterbeantrag und dafür danke ich Ihnen persönlich, dem Regierenden Bürgermeister und allen Mitgliedern des Senats vielmals.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluss und wieder zurück ins Bauhaus-Archiv. Verehrte Hausherrin und Direktorin, Mitglied des Berliner Landesdenkmalrats, liebe Frau Jaeggi, liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bauhaus-Archiv, vor einem dreiviertel Jahr wussten wir alle noch nichts von einer Ausstellung im Sommer 2007 über die nominierten Welterbesiedlungen in Ihrem Haus. Dass Sie dieses Vorhaben trotz aller Zeit- und Geldnöte, trotz knapper Ressourcen und Räumlichkeiten oder auch unvorhergesehener Komplikationen mit großer Umsicht und auch wohl auch mit mancher Nacht- und Wochenendschicht zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht haben und sogar ein attraktives und informatives Begleitprogramm anbieten werden, dafü?r gebührt Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unser besondere Dank und auch besondere Anerkennung.

Erlauben Sie mir last noch least noch eine Dank in eigener Sache. Wer den als Buch in einer deutsch-englischen Fassung herausgegebenen Welterbeantrag und den Kurzführer zu den sechs Siedlungen im handlichen Taschenbuchformat kennt, mag erahnen wie kompetent und vielköpfig die Autoren- und Arbeitsgemeinschaft war, die dieses Werk zustandegebracht hat. Stellvertretend für sie alle möchte ich namentlich an dieser Stelle nur den Projektverantwortlichen, dem Büro Winfried Brenne und Manfred Kühne von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, den Hauptautoren und -bearbeitern, Gabi Dolff-Bonekämper, Jürgen Tomisch, Peter Schmidt-Seifert und Markus Jager sowie Ulrich Borgert und Hubert Staroste für die Koordination und Redaktion der Arbeiten vielmals danken und in diesen Dank ausdrücklich alle nicht namentlich genannten Text- und Bildautoren sowie Leih- und Ratgeber einschließen. Ohne sie, ohne diese höchst ambitionierte und höchst qualifizierte interdisziplinäre und interinstitutionelle Werkgemeinschaft wäre weder der Welterbeantrag noch diese Welterbeausstellung zustande gekommen. Dafür danke ich Ihnen allen im Namen der Senatorin für Stadtentwicklung, Frau Junge-Reyer, und des Landesdenkmalamtes Berlin sehr herzlich. Allen Anwesenden danke ich für ihr Interesse und wünsche einen angenehmen und anregenden Abend im Zeichen der designierten Berliner Welterbesiedlungen.