Was bedeutet Welterbe? – Drei Fragen zum Thema


1. Wozu dient Kulturgüterschutz?

Alles begann mit dem Krieg. Krieg geführt haben die Menschen schon immer. Wer seinen Gegner besonders empfindlich treffen wollte, der zerstörte dessen Heiligtümer und raubte seine Kunst. Denn die Kultur ist es, die ein Volk ausmacht, und mit ihrer Zerstörung und Plünderung beraubt man den Gegner seiner Identität.

Man kann immerhin sagen: Die Menschheit ist mit der Zeit klüger geworden, vielleicht sogar kultivierter. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass Raub und Zerstörung immer nur wieder zu Raub und Zerstörung führen. Was der eine mitnahm, holte sich der andere später zurück, und zur Vergeltung dazu noch einiges mehr.

Dann entstand eine Idee: Könnte es nicht sein, dass die Kulturgüter eines Volkes der ganzen Menschheit gehören, und nicht nur dem Schöpfervolk alleine? So wie Beethovens Musik in der ganzen Welt verstanden wird, so könnte es doch auch sein, dass Kunstschätze und Zeugnisse menschlicher Schaffenskraft universelle Bedeutung haben? Dass es eher Zufall ist, ob Picasso Spanier war oder Franzose?

So entwickelte sich die Vorstellung vom kulturellen Erbe der Menschheit. Kriege gibt es heute immer noch. Aber es gibt auch ein Kriegsrecht. Im Krieg ist es verboten, die Kulturgüter der Gegner anzurühren. Doch auch im Friedensfall sind Kulturgüter in Gefahr. Politikwechsel, Platzbedarf für den Fortschritt oder auch nur Geldmangel können für ein Kulturgut das Ende bedeuten. 

Deswegen gibt es die Kulturgutschutzkonventionen der UNESCO. Konventionen sind Verträge zwischen Staaten, sie stellen quasi die Gesetze der Staaten untereinander dar. Die Kulturgutschutzkonventionen wurden unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges verabschiedet – massenhaft wurden Kunstwerke von unschätzbarem Wert zerstört und wechselten im Krieg widerrechtlich den Besitzer, das Stichwort Beutekunst ist sicher jedem geläufig.

Doch auch in Friedenszeiten sind Kulturgüter vielfältigen Gefahren ausgesetzt. Als in den 1960er Jahren die Kulturschätze Nubiens im Nil zu versinken drohten, weil Ägypten den Assuan-Staudamm baute, rettete die UNESCO durch einen beherzten Hilfsaufruf jahrtausendealte Zeugnisse menschlicher Kultur – darunter den Tempel von Abu Simbel. Hier nahm ein Prozess seinen Anfang, der zur Verabschiedung der Welterbe-Konvention 1972 in Stockholm führte. Die meisten Staaten reißen sich mittlerweile darum, mit ihren Natur- und Kulturdenkmälern in die Liste des Welterbes aufgenommen zu werden. Denn das bringt einen enormen Imagegewinn und natürlich auch Geld, denn es kommen alsbald die Touristen. Etwa 190 Staaten haben die Welterbekonvention schon in Kraft gesetzt.

In Deutschland gibt es derzeit 33 Weltkulturerbestätten (Stand Jan. 2011) - davon nur drei in Berlin: Die Museumsinsel, die Schlösser und Parks in Potsdam und Berlin und die sechs Berliner Siedlungen der Moderne, darunter die Hufeisensiedlung in Britz. Diese befinden sich in bester Gesellschaft mit Venedig, dem Taj Mahal in Indien sowie den Pyramiden von Gizeh. Weltweit sind 704 Weltkulturerbestätten in der Welterbeliste eingetragen.

Die Zeit der Moderne ist auf der Welterbeliste international unterrepräsentiert. Deshalb hatte sich das Land Berlin entschlossen, einen Aufnahmeantrag für sechs ausgewählte Berliner Siedlungen der Moderne zu stellen. Der Antrag wurde im Juli 2008 vom Welterbekomitee positiv entschieden und die Berliner Siedlungen der Moderne in die Welterbeliste aufgenommen.


2. Ist Welterbe gleich Denkmalschutz deluxe?

Für die Bewohnerinnen und Bewohner, Nutzerinnen und Nutzer ändert sich durch die Erlangung des Welterbestatusses erst einmal nichts. Im verfahrensrechtlichen Sinne bleibt alles beim alten: Die Anträge auf denkmalrechtliche Genehmigung sind weiter bei der Unteren Denkmalschutzbehörde im Bezirksamt Neukölln zu stellen. Der Bezirk Neukölln und das Land Berlin bleiben also zuständig. Die Regelungen der Welterbekonvention, der dazugehörigen Richtlinien und Empfehlungen werden über das Berliner Denkmalschutzgesetz rechtlich umgesetzt.

Ändern könnte sich allenfalls die Verwaltungspraxis, was jedoch auch ohne Welterbestatus geschehen kann. Es geht darum, die Siedlung bestmöglich zu erhalten, damit das Kulturerbe nicht geschmälert wird.

Die Hufeisensiedlung erlebte in der vergangenen Zeit eine uneinheitliche Verwaltungspraxis des Denkmalschutzes. Dachflächenfenster z.B. wurden bei dem einen genehmigt, beim anderen geduldet, dem Dritten verwehrt. Manche haben die Dachflächenfenster neben den Gaupen, andere als Schornsteinfegerausstieg. Einige Fenster sind klein, andere größer. Dadurch ist eine Uneinheitlichkeit entstanden, die der Siedlung und ihrem Erscheinungsbild abträglich ist.

Natürlich kann es sein, dass die Denkmalschutzbehörde jetzt genauer hinsehen wird, was die Bewohnerinnen und Bewohner tun. Aber auch das kann jederzeit passieren, mit oder ohne UNESCO-Siegel. Die Behörde hat eigentlich sogar eine Pflicht, denkmalrechtliche Verstöße zu ahnden. Denn der Grundgedanke des Denkmalschutzes ist es, kulturelle Errungenschaften zu erhalten, um für nachfolgende Generationen Zeugnisse geistiger Schaffenskraft zu bewahren. ist das Wort der Stunde, nicht Verändern. Dinkelsbühl wäre nicht Dinkelsbühl, sondern ein Städtchen wie Hunderttausend andere, auch Rothenburg ob der Tauber würde keiner kennen, wenn nicht der Denkmalschutz diese mittelalterlichen Städte vor einer Veränderung bewahrt hätte.


3. Wie geht es weiter?

Einen gehörigen Unterschied macht jedoch die Aufnahme in die Welterbeliste: Die Bewohnerinnen und Bewohner der Hufeisensiedlung haben ein Druckmittel gegen das Land Berlin und den Bund in der Hand. Der Antrag war eine moralische Selbstverpflichtung, dem Taten folgen müssen. Es dauerte keine zwei Jahre und mehrere Millionen Euro Fördermittel des Bundes flossen über das Investitionsprogramm Nationale Welterbestätten in die Siedlungen. So wurde nicht nur mit Sanierungen von Baudenkmalen begonnen, sondern auch die seit langem stiefmütterlich gepflegten Grün- und Freiflächen erhalten eine Kur, wobei sich über die Art und Weise der Ausführung sicher streiten lässt.

Welterbestätten stehen unter besonderer Beobachtung der Öffentlichkeit. Negative Veränderungen werden schnell wahrgenommen und angeprangert. Die sogenannte Pufferzone um die Welterbestätte schützt vor Veränderungen im unmittelbaren Umfeld der Stätte. Damit bleiben Sichtachsen geschützt, Strukturen erhalten. Wenn der Staat sich so hehre Ziele setzt, wird er auch etwas für deren Erreichen tun müssen. Schließlich musste das Land Berlin im Antrag bei der UNESCO auch darlegen, was bisher für das Kulturgut getan wurde und wie es in Zukunft bewahrt und geschützt werden soll. Die Blamage, die sich Dresden mit der Waldschlösschenbrücke geleistet hat, wird sich Berlin nicht leisten können.

Ausweislich des im Antragstext für die Aufnahme der Berliner Siedlungen der Moderne in die Welterbeliste (herausgegeben vom Landesdenkmalamt Berlin, Verlagshaus Braun, Berlin 2007, S. 198 ff.) vorgestellten Managementplans für die Welterbestätte Berliner Siedlungen der Moderne beabsichtigt das Land Berlin keine „... Musealisierung der Siedlungen, sondern ihre nachhaltige Entwicklung als besondere Denkmaladresse und Wohnadresse durch die denkmalgerechte Anpassung an sich ändernde Wohnbedürfnisse“. Die Umsetzung der gesetzten Ziele, vor allem dem Erhalt der Siedlungen „als vorbildliche soziale Wohnorte mit hoher künstlerischer Qualität“ und das Bewahren des Charakters der Siedlungen als „von den Bewohnern angenommene Stadtquartiere“. Das Land Berlin sieht damit, dass sich diese Siedlungen nur durch Lebendigkeit bewahren lassen. Ein Konservieren im Sinne eines Einfrierens des Status quo kann nicht einhergehen mit der ständigen Änderung der Wohnbedürfnisse der Bewohner der Siedlungen. Folgerichtig nimmt das Land Berlin auch an, dass die Umsetzung des Managementplans nur mit Hilfe eines „... Netzwerkes gelingen (kann), in das Eigentümer, Bewohner, Architekten, Landschaftsarchitekten, Planer, Fachleute und Behörden eingebunden sind“ (daselbst, S. 199). Den Denkmalbehörden soll dabei eine Moderatorenrolle zwischen allen Beteiligten zukommen (daselbst). Ob jedoch ein Beteiligter des Prozesses gleichzeitig auch als Moderator wirken kann, ist zu bezweifeln. Eine solche Rolle sollte von einem unabhängigen Dritten wahrgenommen werden.

Interessant ist auch, welche Reihenfolge der Beteiligten das Land Berlin im Managementplan wählt. Eigentümer und Bewohner werden vorangestellt. Die Behörden bilden den Schluss. Dies war – wie in der Folge des Textes deutlich wird – eher der Höflichkeit geschuldet, doch sollte das Voranstellen von Eigentümern und Bewohnern durchaus richtungsweisend sein. Denn diese Personengruppen stellen die unmittelbar Betroffenen dar. Deren Bedürfnisse sind in einem Abwägungsprozess besonders zu beachten. Der Managementplan versteht unter Eigentümern der Siedlungen eher die Wohnungsbaugesellschaften. Im Falle der Hufeisensiedlung jedoch, wird es bald knapp 700 Eigentümer geben, von denen die meisten auch gleichzeitig Bewohner der Siedlung sind. Das Management der Welterbestätte Hufeisensiedlung wird damit besonders herausgefordert. Es bleibt abzuwarten, in welcher Form der Managementplan weiterentwickelt und insbesondere gelebt wird. Auch wird man darüber nachdenken müssen, welche finanziellen Anreize für die Eigentümer – für die Wohnungsbaugesellschaften genauso wie für die privaten Einzelhauseigentümer – geschaffen werden, die über die normalen Förderungsmöglichkeiten im Bereich des Denkmalschutzes, namentlich die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten, hinausgehen. Eine erste Absichtserklärung des Landes Berlin, die in diese Richtung weist, ist im Managementplan enthalten (daselbst, S. 205).


4. Fazit

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Aufnahme in die Welterbeliste nicht nur für das Land Berlin einen erheblichen Imagegewinn darstellt, sondern sie auch auf die Eigentümer und Bewohner der Siedlungen vor allem positive Auswirkungen hat. Bei einer unveränderten Rechtslage im Verhältnis Bürger/Staat, hat sich der Staat hier einige Verpflichtungen selbst auferlegt, die u.a. auch von den Bürgern eingefordert werden können.

Einen positiven Nebeneffekt darf man nicht vergessen: Die Häuser der Siedlung dürften durch den Welterbestatus an Wert gewonnen haben. Aber auch hier gilt: Ein gut erhaltenes und gepflegtes Haus ist wertvoller als ein stark verändertes.

Dr. Christoff Jenschke

Anmerkung: Dieser Artikel gibt allein die Meinung des Autors wieder.