03.11.2011

Kein Hüsung - Kinoabend des FFHBB am 27.10.2011

Alles drehte sich um „Hüsung“ an diesem Abend in der gut gefüllten Aula der Fritz-Karsen-Schule. Gezeigt wurde eine DEFA-Verfilmung nach Werken Fritz Reuters.


Bericht Filmabend Kein Hüsung Fritz Karsen Schule

Großes Kino in der FKS: Der DEFA-Film „Kein Hüsung“

(nach dem gleichnamigen Versepos von Fritz Reuter)

Fritz Reuter hat „Kein Hüsung“ mit seinem Herzblut geschrieben. Es blieb auch rückblickend sein Lieblingswerk. Das Versepos entstand 1857 nach dem Tod seines despotischen Vaters, als Reuter gerade den ersten Durchbruch als Schriftsteller geschafft hatte. Reuter erhebt darin bittere Klage gegen die Rechtlosigkeit der Landarbeiter im feudalen Mecklenburg. Knapp 100 Jahre später bot das Werk der frisch gegründeten DDR eine ideale Vorlage, ihre Bodenreform literarisch – propagandistisch zu unterfüttern.  Der DEFA-Film „Kein Hüsung“ von 1954, der trotz des ideologischen Überbaus nah an der literarischen Vorlage bleibt, wird heute nur noch selten gezeigt. Der Filmabend des FFHBB am 27. Oktober 2011 stieß daher auf reges Interesse. Auch eine Statistin war unter den Zuschauern, die in dem Film als Kind mitgespielt hatte.

Alles drehte sich um „Hüsung“ an diesem Abend in der gut gefüllten Aula der Fritz-Karsen-Schule. Unter dem Motto „Mein Hüsung“ schilderte der Vereinsvorsitzende Dr. Christoff Jenschke seine Kindheit und Jugend im „Hüsung“ der Hufeisensiedlung, der für ihn ungeachtet kleiner nachbarschaftlicher Zwistigkeiten stets „Zu Hause“ und „Heimat“ verkörpert habe. Mein oder meine Hüsung? Der, die oder das Hüsung? Mit der Preisfrage nach der korrekten Grammatik leitete Jenschke zum Einführungsvortrag des Theologen und Reuterexperten Dr. Christian Bunners über,  der die Zuhörer bereits am Fritz-Reuter-Abend 2010 auf einen eindrucksvollen „Spaziergang“ durch die Straßen(namen) der Hufeisensiedlung mitgenommen hatte. Dr. Bunners vermutete, es heiße wohl „die Hüsung“ abgeleitet von hochdeutsch „(Be-) Hausung“. Sprachwissenschaftlich versierte Zuhörer nickten zustimmend. Im Film und in der Vorlage spielt das grammatikalische Geschlecht keine Rolle -  da geht es schlicht um „Hüsung“. Dr. Bunners skizzierte packend die Handlung von „Kein Hüsung“ und arbeitete Unterschiede zur Verfilmung heraus. Auch er schlug den Bogen zum „Hüsung“ der Hufeisensiedlung. Nicht umsonst sei die Bezeichnung „Hüsung“ für dieses ländlich wirkende Herzstück der Hufeisensiedlung gewählt worden, verkörpere es doch auf ansprechende Weise, wofür Fritz Reuter und die Sozialreformer nach ihm gekämpft haben: Eine menschenwürdige Wohnung, ein eigenes Zuhause, für jedermann.

„Hüsung“ ist der Dreh- und Angelpunkt des Films und seiner literarischen Vorlage. „Gib mir Hüsung!“ Mit dieser Forderung tritt der Held, der wackere Knecht Johann,  an den Gutherrn, einen Teufel in Menschengestalt, heran. Johann will einen eigenen Hausstand gründen, seine schwangere Verlobte Mariken heiraten. Dieses heute selbstverständliche Recht wird ihm verweigert, weil  Mariken dem Baron vormals nicht „zu Willen“ war und weil kein Gesetz  den Gutsherrn an der willkürlichen Verweigerung der „Hüsung“ hindert. Schließlich ersticht Johann den Baron im Affekt und muss fliehen. Mariken wird ausgerechnet an Heilig Abend des Guts verwiesen. Sie findet bei der nicht weniger teuflischen Baronin keine Gnade. Mit ihrem frisch geborenen Söhnchen bricht sie in eisiger Winternacht auf und erfriert, während das Kind vom alten Freund Daniel noch lebend gefunden und gerettet wird. Bei Fritz Reuter bricht Johann nach Amerika, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, auf und kommt 10 Jahre später zurück, um seinen Sohn mitzunehmen. In der Verfilmung wird Johann „Berufsrevolutionär“, der nach 10 Jahren zurückkehrt und den Sohn in eine ungewisse, aber verheißungsvolle Zukunft mitnimmt. „Mein ist die Tat – sein ist der Segen“ mit diesen Worten Johanns enden der Film wie seine literarische Vorlage: Die Früchte des Umsturzes, den der Vater losgetreten hat, wird der Sohn ernten.

Ja, die Charaktere kommen etwas holzschnittartig daher, die Melodramatik der Story wird noch verstärkt  durch einen stets aufgewühlten Sonnen-Wolken-Himmel und schmelzend dramatische Streicherklänge. Heute wird anders inszeniert, agieren die Schauspieler weniger theatralisch. Aber die Geschichte geht zu Herzen. Der Zuschauer hofft und verzweifelt mit Johann und Mariken. Viele Augen in der Aula der FKS blieben nicht trocken, als der alte Daniel im tiefen Schnee die leblose Marie und das weinende Baby entdeckt.  Die hochrangig besetzte Regie und die erstklassigen Schauspieler lassen die Tragödie aus sich selbst heraus wirken, der ideologische Überbau bleibt im Hintergrund. Gleichzeitig ist der Aufschrei gegen die unhaltbaren sozialen Verhältnisse, der auch Reuters Werk prägt, unüberhörbar: Es braucht ein Gesetz, das solche Willkür verhindert; jeder Mensch hat ein Recht auf Hüsung.

Ein eindrucksvoller Filmabend. Gut, dass wir „Hüsung“ haben.